Infrastrukturen der Versorgung. Ein Workshop zur Geschichte kommunaler Wirtschaftspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert

Infrastrukturen der Versorgung. Ein Workshop zur Geschichte kommunaler Wirtschaftspolitik im 19. und frühen 20. Jahrhundert

Veranstalter
Felix Heinert, Historisches Institut der Universität zu Köln / a.r.t.e.s. Graduate School for the Humanities Cologne (integrated track); Marcel Streng, Universität Bielefeld
Veranstaltungsort
Universität zu Köln, Kringsweg 6, 50931 Köln (Seminarraum der Abteilung für Osteuropäische Geschichte)
Ort
Köln
Land
Deutschland
Vom - Bis
07.12.2013 -
Website
Von
Heinert, Felix

Der aktuelle Aufschwung wirtschaftshistorischer Fragestellungen in der Geschichtswissenschaft, die sich mit dem „cultural turn“ „vielfach von der Ökonomie abgewendet“ hatte (Hilger/Landwehr), eröffnet eine ganze Reihe neuer Perspektiven. Diese Forschungsdiskussionen wollen wir aufgreifen und im Rahmen eines Workshops thematisch bündeln. Dabei verstehen wir unter Ökonomie ein komplexes Beziehungssystem von Prozessen, Praktiken und Diskursen. Eine so verstandene „Wirtschaftsgeschichte“ ist anschlussfähig an neuere Ansätze der Politik-, Kultur- und Sozialgeschichte, der Wissens-, Alltags- und Umweltgeschichte, um nur einige Ebenen zu nennen. Diese Überlegungen wollen wir am Beispiel kommunaler Versorgungspolitik im „langen 19. Jahrhundert“ und frühen 20. Jahrhundert problematisieren und vertiefen.

Das Programm des Workshops stellt drei miteinander verknüpfte Aspekte als mögliche Zugänge in den Vordergrund:

(a) Wettbewerbsordnung: lokale Versorgungspolitik und insbesondere die Diskussionen über Reformen der örtlichen Marktreglements oder Um- bzw. Neubauten der öffentlichen Hand war im 19. und frühen 20. Jahrhunderts durch Kontroversen geprägt, die sich stark vereinfacht und idealtypisch als Gegensatz von »Freihandel« und »Interventionismus« artikulierten, in der Praxis aber oftmals zu »empirischen Kompromissen« (Rosanvallon) führten. Zu fragen ist, inwiefern sich klassische polizeistaatliche Arrangements aus dem 18. Jahrhundert in der Praxis mit freiheitlichen Wettbewerbsregulierungen vereinbaren ließen und ob sich am Beispiel der mit der lokalen Versorgung betrauten Verwaltungsressorts Wandlungsprozesse von Staatlichkeit und Ökonomie beobachten lassen, die über das Lokale hinausgriffen.

(b) Wissen und Expertise: auf der Ebene urbaner Zentren wenig untersucht ist die Rolle einschlägiger Expertise für die Entwicklung von versorgungspolitischen Institutionen. In Reformdiskussionen und bei der Planung von Infrastrukturprojekten war etwa in Frankreich lange Zeit auch unter Beamten ökonomisches Wissen ausschlaggebend, bevor im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts Naturwissenschaftler und Hygieniker ein stärkeres Gewicht entfalteten. Hier spielte das wenig erforschte Feld der Zirkulation von spezifischem »Stadtverwaltungswissen« zwischen den Behörden verschiedener Städte eine noch unterbelichtete Rolle. Gefragt wird hier nach der Art der Expertise und ihrem Gewicht in der Führung lokaler Versorgungseinrichtungen. Zugleich interessieren Durchsetzungs- und Aushandlungsmechanismen, in die auch (konkurrierende) Gegen- und Nicht-Experten eingebunden waren, die für sich etwa ein „praktisches“, (lokal-)historisch gewachsenes Wissen reklamieren und in die Auseinandersetzungen einbringen oder die Schlüsselbegriffe der Stadtverwaltungsexperten gegen diese argumentativ wenden konnten

(c) Raum und Territorialität: Raumbezüge waren für kommunale Behörden in versorgungspolitischen Zusammenhängen von besonderer Bedeutung, weil sie zum einen die Reichweite administrativen Handelns eingrenzten und dadurch weite Teile von Handelsnetzen, Güterverkehren und Geschäftsbeziehungen ihrem ordnenden Zugriff entzogen. Dieser Umstand blieb mit der Eingliederung lokaler Konsumentenmärkte in nationale, imperiale und globale Marktzusammenhänge im Verlauf des 19. Jahrhunderts problematisch. Andererseits ging der Aufbau von lokalen Versorgungseinrichtungen wie öffentlichen Schlachthäusern, Fleischbeschaustationen oder Trinkwassernetzen in aller Regel mit umfangreichen Raumplanungsprozessen, neuen straßenpolitischen Arrangements (z.B. Viehtriebregulierungen), Neuvermessungen des Stadt- und Kommunalsteuer-Gebietes und einer Umgestaltung öffentlicher Räume einher. Gefragt wird danach, welche Raumbezüge in konkreten Fällen für die Praxis solcher Versorgungseinrichtungen ausschlaggebend waren.

Wir verstehen die Fragen als mögliche Zugänge zu dem umrissenen Problemzusammenhang. Der Workshop soll empirische Befunde bündeln, aufeinander beziehen und den Anspruch einer Wirtschaftsgeschichte diskutieren, die sich nicht als Subdisziplin versteht, sondern die Geschichtswissenschaft insgesamt integrieren will.

Programm

11:00: Beginn des Workshops, Anreise der TeilnehmerInnen und Begrüßung

11:30–11:45: Einführung: Felix Heinert, Marcel Streng

Keynote:

11:45-12:15: Prof. Dr. Dorothee Brantz (Direktorin des Center for Metropolitan Studies, TU Berlin): „Infrastrukturen des Schlachtens: Städtische Selbstversorgung zwischen Technologie und Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert“

(Chair: Pascal Schillings, Universität zu Köln)

12:15-12:35: Diskussion

12:35-14:00: Mittagspause

Panel I: Topografien und Infrastrukturen der Versorgung

14:00-14:20: Dr. Catarina Caetano da Rosa (Universität Darmstadt) „Infrastrukturprojekte in Hafenstädten. Vergleich und Verflechtungen zwischen Lissabon und Rio de Janeiro im 19. Jahrhundert“

14:20-14:40: Marcel Streng (Universität Bielefeld) „Munizipalchemie: zur Entstehung eines ‚service public’ in Frankreich am Beispiel der kommunalen Prüflabore, 1870-1914“

14:40-15:20 Kommentar: Stefan Scholl (Universität Siegen) und Diskussion

15:20-15:40: Kaffeepause

Panel II: Akteure und Aushandlungen

15:40-16:20: Felix Heinert (Universität Köln) „Von Schlacht-/Schächt- und anderen Zwängen. Riga und die Aushandlungen des Schlachtzwanges um 1900“

16:20-16:40: Lukasz Nieradzik (Universität Wien) „Ökonomisierung als Disziplinierung – Raumordnungen und Raumpraktiken in Wiener Schlachthäusern im 19. Jahrhundert“

16:40-17:20: Kommentar Prof. Dr. Guido Hausmann (LMU München) und Diskussion

17:20-17:40: Kaffeepause

Abschlusskommentar
17:40-18:10: Prof. Dr. Clemens Wischermann (Universität Konstanz) und anschließende Diskussion

(Chair: Dr. Volker Barth, Universität zu Köln)

18:10-18:15: Kaffeepause

18:15-18:30: Abschlussdiskussion, danach Abreise

Kontakt

Felix Heinert

Universität zu Köln, Historisches Institut, Albertus-Magnus-Platz, D-50923 Köln

felix.heinert[at]web.de


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Deutsch
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